feucht im November
Eine atmosphärische Schilderung
Gelbbraune Blätter verlieren den Halt, lassen schmucklose Äste und Zweige zurück und Baumkronen ohne ihre Gefolgschaft.
Das nasse Laub gibt sich anhänglich unter Pfennigabsätzen und Budapestern, verstopft Lüftungsschlitze zahlloser Dreckskarren und Nobelkarossen, die stehend und stauend die Straßen verstopfen oder dumpfdreist durch Pfützen preschen. Die aufspritzende Gischt drapiert vorbeiziehende Hosen und Röcke von Trägern, die einen ausweichenden Seitensprung nicht wagen oder vermögen.
Verkniffene Gesichter begegnen jenen, die aus ihren Nasen Flüssig-Schleimiges, je nach Gesinnung, in weißem Zellstoff, recyceltem Altpapier oder Monogramm-bestickter Baumwolle verschwinden, oder auch mit Nachdruck strahlartig gen Boden entfleuchen lassen. Rotz und Wasser verschmelzen im Kontakthof des Rinnsteins und fließen dahin.
Nun ist Platz für die Duftnoten aus der Komposition roter Trauben, knackiger Äpfel, Zimt und Gewürznelken, die vom frohlockenden Weihnachtsmarkt in die geschundenen Riechkolben hineinwehen. Die Weichen für ein Ende der entgleisten Gesichtszüge werden nicht nur nasal gestellt, auch die Ohren der fahlen Gesichter werden lustvoll beglückt. Jingle Bells-Klänge versuchen sie, heraus aus dem Novemberblues und hinein in eine festlich-musikalische Dauererektion bis zu den christlichen Geburtswehen zu bezirzen. Man kann der Kapelle nicht vorwerfen, nicht ausdauernd oder zu spät dran im Jahr zu sein.
Bei wem die sinnlichen Manipulationen nicht fruchten, der stapft und hetzt weiter durch die nassgraue Tristesse, und dem dreht der windige Sturm, zur Beendigung der Schirmherrschaft, den Polyester-bespannten Draht auf links. Und der Niesel benetzt Haarkränze und Hochtoupiertes, raubt stylischen Sehgehilfen die Sicht oder fließt in die Kragen und eiskalt die Rücken herunter.
Meine Kragenweite ist der November nicht
Text: Bernd Raguse
Photo: pixabay